Spät

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Es war spät abends als er die Türe öffnete. Er öffnete sie betont leise aber nicht leise genug. Sie hörte das Knacken unter dem Holzboden direkt unter der Türe bis in ihr Zimmer. Sie wusste, jetzt dauerte es nicht mehr lange, jetzt würde er gleich seine Finger auf ihre Türklinke legen, sie nach unten drücken und die wenigen Schritte zu ihrem Bett zurücklegen. Er würde seine Hände auf ihren Bauch legen und sie kitzeln. Sie würde lachen und ihn darum bitten ihr eine Geschichte vorzulesen. Ein Märchen. Seine weiche, tiefe Stimme würde die Wörter klingen lassen wie ein Lied. Seine Schritte wurden lauter. Sie setzte sich im Bett auf vor Vorfreude. Sie rieb sich die Augen. War sie eingeschlafen? Es war dunkel draußen. Was sie gehört hatte, im Halbschlaf, im Traum vielleicht, waren nicht die Schritte ihres Vaters gewesen, der nach Hause gekommen war und ihr nun etwas vorlas, sondern irgendeine blöde Katze, die einen Kübel umgeworfen hatte. Sie erinnerte sich jetzt wieder: Ihr Vater hatte sie verlassen.

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